Safety first?! – ein NFL-Kommentar
Jeder NFL-Fan, der in den letzten Wochen ein wenig die Trainingscamps verfolgt hat, dem sind mit Sicherheit die neuen Helme aufgefallen. Mir persönlich ist erst auf den zweiten Blick klar geworden, dass es sich aber gar nicht um alternative Helme handelt, sondern lediglich um Aufsätze, die an den ursprünglichen Helmen befestigt werden. Optisch wirken diese zunächst ungewohnt und fast schon witzig, aber sie haben eine wichtige Aufgabe zu erfüllen: Sie sollen zusätzlichen Schutz für die Köpfe der Spieler vor den Folgen regelmäßiger Erschütterungen bieten.
Das Thema Kopfverletzungen im Football beschäftigt die Verantwortlichen und alle Spieler seit Anfang der 2000er Jahre. Seither erscheinen regelmäßige Forschungsberichte, die immer neue erschreckende Erkenntnisse ans Tageslicht bringen. Dabei geht es nicht immer nur um akute Folgen, wie beispielsweise Gedächtnis- und Denkprobleme, sondern vor allem um langfristige Folgeerscheinungen und Erkrankungen im Gehirn. Denn Footballspieler leiden nicht nur überdurchschnittlich oft und früh an Demenz, sondern auch an Depressionen und an CTE (chronisch-traumatische Enzephalopathie). Diese Kombination aus Folgeerscheinungen erhöht nicht nur das Suizidrisiko erheblich, sondern wird oftmals auch als Grund für eine erhöhte Straffälligkeit vieler Football-Spieler herangezogen.
In Folge der langanhaltenden Kritik musste die NFL irgendwann reagieren. So begannen sie mit einzelnen Regeländerungen, die insbesondere schwere Tackles und harten Helmkontakt mit Strafen belegten. Dies kam zwar bei vielen Besitzern und in den Vorständen gut an – viele Spieler kritisierten die Änderungen jedoch als spielfremd. Weitere Schritte zu Bekämpfung von Kopfverletzungen war die Einführung des „concussion protocol“, das Spielern, die nachweisliche eine Gehirnerschütterung erlitten haben, eine Zwangspause auferlegt, um die Verletzung ordentlich heilen lassen zu können.
Außerdem spendete die NFL 2016 unter starkem öffentlichem Druck knapp 100 Mio. $ an die medizinische Forschung über Kopfverletzungen und an die technische Entwicklung neuer Helme. Eine Anpassung der Schutzausrüstung, war also bereits 2016 bei der NFL ein Thema.
Dennoch hat es bis 2022 gedauert, dass auch eine wirklich praktische Anpassung an der Schutzausrüstung der Spieler vorgenommen wurde. Nach dem Ende der letzten Saison wurde bekanntgegeben, dass das Tragen der „neuen“ Guardian Caps in den anstehenden Trainingslagern aller 32 NFL-Teams verpflichtend sein wird. Dieser Schritt wirkt auf den ersten Blick wie ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings gibt es den Prototypen der Caps bereits seit 2010. Daher muss man doch hinterfragen, warum es knapp 13 Jahre gedauert hat, bis dieser Schritt zu Gunsten der Sicherheit aller Spieler gegangen wurde.
Letztendlich muss man aber an dieser Stelle festhalten: Besser spät als nie! So scheint man an offizieller Stelle Einsicht erhalten zu haben, sodass während der intensiven Trainingsphasen in den Camps der Kopf zusätzlich geschützt werden muss. Wirklich verpflichtend ist das Tragen zwar nur für alle Linemen, Linebacker und Tight Ends zwischen Beginn der Trainingscamps und dem zweiten Preseason Spiel. Allerdings haben einige Teams, u.a. die Steelers, sich dafür entschieden die offiziellen Richtlinien auszuweiten und auf weitere Teile des Rosters anzuwenden.
Als statistische Daten gibt die NFL an, dass sich die Einschlagskraft bei einem Hit zwischen einem Spieler mit Guardian Cap und einem Spieler ohne um knapp 10% verringert. Tragen beide Parteien bei ihrem Aufeinandertreffen eine solche Cap sogar um 20%.
Auf der Basis dieser Daten haben sich sehr viele Coaches wie Frank Reich (Colts), Ron Rivera (Commanders), Mike Tomlin (Steelers) und Mike Vrabel (Titans) sehr positiv über die Nutzen der Caps ausgesprochen. Schließlich sei es die moralische Pflicht eines Trainers für die Sicherheit seiner Truppe zu sorgen, so Tomlin. Er hatte seine Spieler bereits im Frühjahr, also bevor die offizielle Vorschrift von Seiten der Liga kam, angewiesen nur noch mit Guardian Caps zu trainieren. Er zählt zu den größten Befürwortern der neuen Maßnahme. Ein wichtiges Anliegen in diesem Zusammenhang war es Tomlin, die Hintergründe seiner Entscheidung dem Team mitzuteilen. Aufklärung gegenüber den Spielern ist nämlich von großer Wichtigkeit, wenn es um die zukünftige Akzeptanz der neuen Caps geht.
Wie so oft ernteten die Guardian Caps aber nicht nur Zuspruch innerhalb der Liga. So begrüßte Packers Head-Coach Matt LeFleur zwar die Intention hinter den Caps, allerdings äußerte er auch Bedenken an anderer Stelle. Er befürchtet Spieler könnten durch den zusätzlichen Schutz zu selbstbewusst werden, dass sie mit den Köpfen voran gehen können. Falsches Selbstbewusstsein bzw. Selbstüberschätzung würde an dieser Stelle der eigentlichen Technik des Blockens schaden.
Unterstützung in seinen Bedenken bekommt LeFleur aus den eigenen Reihen: Linebacker De’Vondra Campbell hält die Guardian Caps sogar für dumm: „Ihr sagt ihr tut es, um uns zu schützen, aber in dem Moment, in dem wir sie (die Caps) abnehmen, werden wir es gewohnt sein mit ihnen zu spielen, sodass es sich, wenn du ohne sie spielst, deutlich anders anfühlen wird.“
Diese Form der Kritik an dem neuen Konzept kann ich gut verstehen. Dennoch spricht sich Campbell hier in meinen Augen nicht gegen den Einsatz der Caps, sondern gegen deren Beschränkung aus. Aus seinem Statement würde ich lesen, dass die Guardian Caps einen deutlich spürbaren Unterschied für die Spieler in ihrem Spiel machen. Erst wenn sie den zusätzlichen Schutz ablegen, werden sie merken, wie viel geschützter sie mit ihm waren.
Das führt mich zu meiner abschießenden Betrachtung des Themas der Guardian Caps: Welche Rolle werden sie in der Zukunft spielen? Ich hoffe nämlich sehr, dass die Implementierung der neuen Caps während der Trainingscamps nur der erste Schritt in eine neue Richtung ist. Ich bin der Überzeugung, dass die Liga und alle sportlich Verantwortlichen den Fokus klar auf die Sicherheit der Sportler legen sollten.
Das verpflichtende Tragen der Caps während der gesamten Saison wäre (unter Berücksichtigung der Kritik der Spieler) in meinen Augen nur der einzig richtige Schritt. An diesem Punkt höre ich schon die Aufschreie über das optische Erscheinungsbild der Caps und ich muss sagen: Ja, in der aktuellen Ausprägung gewinnen sie keinen Schönheitswettbewerb. Es wäre selbstverständlich eine große Umstellung für alle Football-Fans sich an das Erscheinungsbild zu gewöhnen. Allerdings könnte in Zukunft noch einiges design-technisch verbessert und angepasst werden. Eventuell gäbe es die Möglichkeit die Caps mit den Helmen zu einem Hybrid zu vereinen, der die gleiche zusätzliche Schutzfunktion bietet und die Ästhetik eines Footballhelms weitgehend beibehält.
Aber selbst wenn das optische Bild bestehen bleibt, wäre es etwas, das in meinen Augen die zusätzliche Sicherheit der Spieler wert. Schließlich konnte man sich in der Formel 1 auch an den Bügel vor dem Cockpit gewöhnen, der nach Bianchis schwerem Unfall angebaut wurde. Schließlich sollen die Spieler zu unserer Unterhaltung nicht täglich ihr Leben riskieren. Aus den Zeiten sollten wir hoffentlich schon lange raus sein.