NFL-Taktikschule

Teil 2 – Offensive Formationen

Der erste Teil der Taktikschule konnte mit den Erklärungen der Positionen das Fundament für ein taktisches Verständnis des American Footballs legen. Darauf möchte ich in der zweiten Ausgabe aufbauen und die verschiedenen Formationsmöglichkeiten der Offensive erarbeiten. Die Aufstellung des Gegners kann Anhaltspunkte geben, welcher Spielzug folgen könnte. Daher ist es wichtig sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, wenn man ein besseres Gefühl für den Sport bekommen möchte.

Zu den Formationen allgemein:

Bevor die einzelnen Formationen genauer untersucht werden, gibt es noch ein paar allgemeine Ding vorab zu erläutern. Grundsätzlich gilt nämlich: Alle Formationen sind nur grobe Vorlagen. Wie im Laufe des Artikels deutlich werden wird, gibt es eine Vielzahl möglicher Variationen der einzelnen Aufstellungen. Das betrifft dabei nicht nur die Positionierung der Spieler, sondern auch das Personal, das auf dem Feld steht. Die Variabilität ist der Grundstein einer erfolgreichen Offensive, da man den Gegner durch neue Varianten überraschen und aus der Reserve locken möchte. Daher habe ich für die Grafiken in dieser Ausgabe eine gesonderte Farbgebung gewählt, die das genutzte Personal auf einen Blick erkennbar machen soll. Dafür folgt unten eine kurze Legende, die an einem Beispiel den verschiedenen Farben einen Sinn geben soll:

Die I-Formation

Die sogenannte I-Formation ist eine der grundlegendsten Formationen im American Football. Sie gibt es bereits seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, wird allerdings in der modernen NFL tendenziell selten benutzt. Ihren Namen verdankt sie der Anordnung des Quarterbacks und der zwei Runningbacks im Backfield, die gemeinsam den Buchstaben „i“ formen.

Die einfachste Version stellt die Standard I-Formation dar (vgl. Bild I.1). Hierfür positioniert sich der Quarterback unmittelbar hinter dem Center, während der Full- und der Halfback sich in einer geraden Linie hinter ihm aufstellen. Typischerweise wird an einer Seite der Offensive-Line ein Tight End aufgestellt und zwei Wide Receiver sollen außen das Feld breiter machen.

Bild I.1: Die Standard I-Formation mit 2 RBs, 2 WRs und 1 TE.

Diese Formation suggeriert durch die zwei Receiver eine gewisse Flexibilität, allerdings ist sie primär für das Laufspiel ausgelegt. Aus dieser Formation heraus übergibt der Quarterback in der Regel den Ball an den Halfback, der sich dann hinter dem Fullback seinen Weg durch die gegnerische Verteidigung sucht. Der Fullback fungiert dann als sogenannter Lead-Blocker, der den Weg für den Spieler mit dem Ball freimachen soll. Möchte man die Defense überraschen und aus dem Konzept bringen, kann aus dieser Formation auch der Fullback den Ball für einen Lauf erhalten.

Dennoch ist es möglich auch aus dieser Formation zu passen. Mit den zwei Receivern und dem Tight End hat man drei Passempfänger und auch die Runningbacks können potenziell selbst Routen laufen oder als Blocker gegen den Pass-Rush arbeiten. An dieser Stelle lässt sich durch eine personelle Variation die Gefahr des Passspiels steigern. In der sogenannten Three Wide I-Formation (vgl. Bild I.2) wird ein Tight End gegen einen zusätzlichen Wide Receiver eingetauscht.

Bild I.2: Die Three Wide I-Formation mit 2 RBs und 3 WRs.

Ähnliche personelle Veränderungen können aber umgekehrt genauso den Lauf bestärken und unterstützen. Hier bietet sich beispielsweise die Big I-Formation (vgl. Bild I.3) an, die einen Receiver durch einen zusätzlichen Tight End ersetzt. Die Power I-Formation (vgl. Bild I.4) bringt sogar einen dritten Runningback neben den Fullback als zusätzlichen Blocker aufs Feld, um dem Halfback das Leben zu vereinfachen. Eine weitere verbreitete Alternative des Konzeptes ist die sogenannte Offset-I-Formation, bei der sich der Fullback nicht in einer geraden Linie, sondern leicht nach links oder rechts versetzt aufstellt. In dem hier gewählten Beispiel (vgl. Bild I.5) stellt sich der Fullback nach rechts auf die Seite mit dem Tight End, also auf die starke Seite. Man spricht dann von einer Strong-I-Formation oder im umgekehrten Fall (vgl. Bild I.6) von einer Weak-I-Formation. Je nachdem auf welche Seite der FB verschiebt, wird der Laufspielzug wohl in diese Richtung ausgeführt, da auf dieser Seite der bestmögliche Schutz des Runningbacks möglich ist.

Es wird also schon an der ersten Formation deutlich, dass es viele Variationsmöglichkeiten zu jeder Grundaufstellung gibt. Diese sind der Schlüssel für eine erfolgreiche Offensive, da man besonders erfolgreiche Spielzüge in aller Regel nur dann hat, wenn man den Gegner auf dem falschen Fuß erwischt. In diesem Zusammenhang ist besonders das Wort Tendenz von großer Wichtigkeit. Dieses Thema wird in einer der kommenden Folgen intensiver behandelt, da es einen hohen Stellenwert im American Football genießt und gesondert vorgestellt werden soll. An dieser Stelle soll nur schon einmal angemerkt werden, dass die Aufstellungen und ihre Variationen dabei wichtig sein werden.

Pro-Set

Ähnlich wie die I-Formation ist die Pro-Set Aufstellung in den frühen Jahren des Footballs entstanden und in der modernen NFL etwas aus der Mode gekommen. Der Grund dafür ist, dass die NFL sich in den letzten Jahren immer mehr zu einer primären Pass-Liga entwickelt hat. Deswegen stellt man heutzutage lieber einen zusätzlichen Tight End oder Receiver, anstelle eines zweiten Runningbacks im Backfield auf.

Aus dieser Beschreibung lässt sich die Grundstruktur der Formation bereits ableiten: Wie bei der I-Formation steht der QB unmittelbar hinter dem Center. Allerdings stehen die zwei Runningbacks nicht in einer geraden Linie hinter ihm, sondern leicht nach links und rechts versetzt (vgl. Bild II.1).

Bild II.1: Die Pro Set Formation mit 2 RBs, 2 WRs und 1 TE.

Dadurch lassen sich die beiden Runningbacks leichter in das Passspiel integrieren. Allerdings leidet darunter die Gefahr des Laufspiels durch die Mitte, weswegen sich einzelne Variationen zur Aufgabe gemacht haben, diesen wieder zu stärken. In dem Strong Pro Set und dem Weak Pro Set positioniert sich entweder der Halfback oder der Fullback hinter dem QB, wodurch der andere RB automatisch zum Vorblocker (Lead-Blocker) des anderen wird.

Insgesamt ist die Pro Set Aufstellung also eine passfreundlichere Aufstellung im Vergleich zur I-Formation. Die Runningbacks können schneller in ihre Routen kommen und sind auch als Blocker früher zur Stelle. Das stärkt insbesondere den kurzen Pass. Da das Laufspiel in dieser Formation fast ausschließlich über die Außen funktionieren kann, hat man sich mit dem Weak und Strong Pro Set Alternativen für den Lauf durch die Mitte gesucht.

Singleback Formation

In den Zeitgeist der aktuellen NFL passt die Singleback Formation (auch Single set back Formation genannt) deutlich besser als die vorherigen zwei Formationen. Wie der Name schon vermuten lässt, verzichtet diese Formation auf einen der zwei Runningbacks und setzt stattdessen auf einen zusätzlichen Wide Receiver oder Tight End (vgl. Bild III.1).

Bild III.1: Ein Beispiel für eine Singleback Formation mit 1 RB, 3 WRs, und 1 TE.

Generell sind in der Singleback Formation eine wahnsinnige Vielzahl an Varianten möglich. Die einzige zuverlässigen Erkenntnismerkmale sind der einsame Runningback im Backfield (ungefähr 5 Yards hinter dem QB) und der Quarterback, der unmittelbar hinter dem Center den Snap in Empfang nimmt.

Die Formation ist grundsätzlich für den Pass ausgelegt, da man weniger Präsenz im Backfield und dafür mehr Personal an der Line-of-Scrimmage hat. Dennoch können auch aus dieser Formation effektive Laufspielzüge entstehen: Der zusätzliche Wide Receiver bietet das Potenzial einen Verteidiger aus der Mitte des Spielfeldes herauszuziehen und so Räume für einen Lauf zu öffnen. Außerdem kann das Laufspiel auch durch einen zusätzlichen TE in der Offensiv-Line gestärkt werden, der dann als weiterer Blocker agiert (vgl. Bild III.2).

Bild III.2: Ein Beispiel für eine Singleback Ace Formation mit 1 RB, 2 WRs und 2 TEs.

Darüber hinaus kann das Personal auch in 4 Wide Receiver ohne Tight End aufgeteilt werden, sodass das Passspiel maximale Gefahr ausstrahlen kann. Die Singleback Spread eignet sich also besonders für Situationen, in denen die Offense große Distanzen durch die Luft überbrücken muss (vgl. Bild III.3).

Bild III.3: Die Singleback Spread Formation mit 1 RB und 4 WRs (2×2).

Diese unterschiedlichen Personalverteilungen auf dem Feld können dann in einer sehr breiten Vielfalt positioniert werden. So ist es möglich in einer Ace Formation einen Overload auf einer Seite zu forcieren, indem man beide Tight Ends auf eine Seite der O-Line aufstellt (vgl. Bild III.4). So wird der Lauf über die gewählte Seite durch mehr Blocking vereinfacht. Alternativ lassen sich in dieser Aufstellung dann zwei Wide Receiver nebeneinander (Twins) auf der gegenüberliegenden Seite positionieren, um auf der schwachen Seite über den Pass gefährlich werden zu können (vgl. Bild III.5).

Ein beliebtes Mittel in dieser Formation ist auch die Bunch-Positionierung der Receiver. Diese zeichnet sich durch drei Passempfänger aus, die sich nah in einem kleinen Dreieck auf einer Spielfeldseite aufstellen. Ziel davon ist es eine zahlenmäßige Überlegenheit auf einer Seite zu erzielen, um einen freien Pass spielen zu können. In diese Aufstellung lässt sich auch ein Tight End integrieren (vgl. Bild III.6) oder man positioniert ihn auf der gegenüberliegenden Seite, um dort die Gefahr des Laufspiels zu etablieren (vgl. Bild III.7).

Die Singleback Formation ist also einen sehr flexible Formation, an der sich ein Trainer nach Herzenslust austoben kann. Die hier angedeuteten Optionen sind dabei nur die Spitze des Eisbergs, die ein grobes Gefühl für die Aufstellung geben sollen.

Shotgun-Formation

Die Shotgun Formation setzt meist, genau wie die Singleback Formation, auf lediglich einen Runningback. Sie ist daher ebenfalls eine der populären Aufstellungen in der modernen NFL. Der große Unterschied zur Singleback Formation ist die Positionierung des Quarterbacks: Dieser steht nicht unmittelbar hinter dem Center, sondern knapp 5 Yards weiter hinten (vgl. Bild IV.1). So erhält er den Ball durch einen längeren Snap direkt mit etwas Abstand zur O-Line, sodass er einen besseren Überblick über die gegnerische Verteidigung hat. Außerdem hat der QB durch diese Formation länger Zeit sich den Spielzug anzusehen und dann den richtigen Pass zu spielen. Die Shotgun ist also eine primäre Passaufstellung und wird daher oftmals bei langen zweiten und dritten Versuchen genutzt.

Bild IV.1: Eine Variante der Shotgun Formation mit 1 RB, 3 WRs (1×2) und 1 TE.

Der Runningback steht meist direkt neben dem QB und kann aus dieser Position entweder das Blocking unterstützen oder selbst durch eine Route in das Passspiel eingebunden werden. Die restliche Aufteilung des Personals auf dem Feld erfolgt ähnlich wie bei der Singleback Formation. Das bedeutet der Trainer kann zwischen der Anzahl der Tight Ends und der Wide Receiver variieren. Der einzige Unterschied zur Singleback Formation ist, dass man bei der Shotgun auch auf ein Empty Backfield setzten kann, in dem dann lediglich der Quarterback steht. Die restlichen Spieler (im Extremfall 5 WR) stellen sich an der Line-of-Scrimmage auf (vgl. Bild IV.2).

Bild IV.2: Eine Five-Wide Aufstellung in Shotgun mit Empty Backfield und 5 WRs.

In der folgenden Diashow habe ich zur Veranschaulichung noch ein paar Variationen einfügt, um die Formation etwas zu vertiefen. Der Hintergedanke und das Prinzip hinter der Shotgun sollten aber bereits deutlich geworden sein.

Pistol-Formation

Die Pistol ist eine Mischung zwischen der Shotgun und der Singleback Formation. Der QB steht nicht unmittelbar hinter dem Center, sondern knapp drei Yards dahinter. Der Runningback stellt sich weitere zwei bis drei Yards in einer geraden Linie hinter seinem Quarterback auf. So entsteht eine Hybrid-Architektur, die dem Quarterback mehr Zeit für das Beobachten der Passrouten gibt, während sie gleichzeitig dem Läufer den Raum gibt, um Momentum für seinen Lauf zu geben, um in die richtige Lücke durchstoßen zu können (vgl. Bild V.1).

Bild V.1: Eine Variante der Pistol-Formation mit 1 RB, 3 WRs (1×2) und 1 TE.

Diese Formation ist noch nicht so alt. Sie entstand um den Jahrtausendwechsel herum im College Football und fand ihren Weg darüber in die NFL. Heute ist sie Teil des modernen Footballs, da sie gut als Tempowechsel (change of pace) eingesetzt werden kann. Ansonsten unterscheidet sich die Aufstellung nicht weiter von der Shotgun und der Singleback Formation, sodass auch hier fast identische personelle Variationen auftreten.

Goal Line-Formation

Diese Formation kommt nur in ganz besonderen Szenarien auf das Feld. Dies ist in aller Regel dann, wenn der Offensive noch ein Yard für einen Touchdown fehlen und man unbedingt den Ball noch über die Linie drücken möchte. Sie besteht aus zwei Runningbacks und drei Tight Ends, die für den maximalen Schutz sorgen sollen. Der Quarterback stellt sich unmittelbar hinter den Center, damit er möglichst schnell den Ball an einen der beiden RBs im Backfield übergeben kann. In seltenen Fällen kann dieser Formation auch mal bei einem wichtigen vierten Versuch für ein Yard aufs Feld kommen.

Bild VI.1: Goal Line Formation an der 1-Yard-Linie mit 2 RBs und 3 TEs.

Selbstverständlich gibt es auch bei dieser Formation zahlreiche Varianten, allerdings taucht die Formation an sich schon verhältnismäßig selten auf, weswegen man Variationen und Abwandlungen am besten live während eines Spiels kennenlernt.

Abschluss: weitere erwähnenswerte Formationen

Abschließend möchte ich noch auf einzelne erwähnenswerte Formationen eingehen, die zwar kaum in der NFL ans Tageslicht treten, die jedoch entweder in der Vergangenheit oder im College gerne genutzt wurden.

Ein Beispiel für eine selten genutzte Formation wäre beispielsweise die Wildcat Formation. In dieser Aufstellung steht nicht der Quarterback hinter dem Center und empfängt den Snap, sondern einer der anderen Mitspieler. Der Quarterback wird in dieser Formation dann oft als Receiver eingesetzt, da dort das Verletzungsrisiko geringer als beim Blocking oder Laufspiel ist. Die Wildcat soll für Unsicherheit und Abspracheschwierigkeiten in der Defense sorgen, bzw. den Gegner aus dem Konzept bringen. Im College-Football ist diese Formation noch sehr weit verbreitet und wird häufig genutzt.

Bild VII.1: Beispiel einer Wildcat Formation, bei der der Quarterback sich als Receiver aufstellt.

Beispiele für populäre Formationen aus der Vergangenheit, die man heute kaum noch in der Liga antrifft, sind die T-, Flexbone- oder Wishbone-Formationen. Diese stammen aus den Tagen der laufintensiven NFL, in der viele Runningbacks im Backfield genutzt wurden, um mit dem Ball zu laufen. Für das moderne passbetonte, athletische und schnell Spiel der NFL sind diese Formationen keine Alternativen mehr.

Zu guter Letzt darf natürlich nicht die Formation fehlen, die die meisten Football-Spiele beendet: die Victory-Formation. Diese Aufstellung nutzt das Gewinner-Team, wenn es im Ballbesitz ist und nur noch die Zeit ablaufen lassen muss. Beim sogenannten Abknien geht der Quarterback unmittelbar nach dem Erhalt des Footballs vom Center auf ein Knie und nimmt damit einen Yard Raumverlust hin, damit die Uhr weiterlaufen kann, bis sie vollständig abgelaufen ist. Dafür bilden klassischer Weise drei Runningbacks den Buchstaben „V“ (daher „Victory“) hinter ihrem QB.

Bild VII.5: Die Victory-Formation, bei der der QB nach dem Snap direkt sein Knie auf den Boden drückt.

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